Mit Solidarität und Verstand durch die Krise: Positionspapier der SPD Thüringen zur Krisenbewältigung

Die Infektionszahlen in Deutschland sind weiter auf hohem Niveau und es ist von einem weiteren Anstieg auszugehen. Zahlreiche Thüringer Landkreise haben Inzidenzwerte, die weit über dem Bundesdurchschnitt liegen. Bei diesen Zahlen kommt das Gesundheitssystem vor Ort zunehmend an seine Leistungsgrenze. Lebenserhaltende Eingriffe bei anderen Krankheiten drohen zurückgestellt zu werden. Die Gefahr für die Bevölkerung, insbesondere die Risikogruppen, aber auch die Gefahr sekundärer Opfer wird immer konkreter.

Die Eindämmungsmaßnahmen im Freistaat zeigen noch nicht den erhofften Effekt. Die sich schnell verändernde und regional unterschiedliche Verordnungslage ist teilweise schwer nachzuvollziehen. Steigende Infektionszahlen und die Bildung von aggressiveren Mutationen des COVID-19-Virus werden auch in den kommenden Wochen Maßnahmen verlangen, die harte Einschnitte für viele Menschen bedeuten. Es braucht nun ein ganzheitliches Konzept, das langfristig angelegt ist und mehr Sicherheit bei den Themen Eindämmungsmaßnahmen, Impfen, Krisensteuerung und Hilfszahlungen gibt.

Wir befinden uns in einer entscheidenden Phase der Krisenbewältigung. Thüringen hat aktuell den höchsten 7-Tage-Inzidenzwert und die deutschlandweit niedrigste Impfquote. Um diese Situation schnell zu ändern und die Gesundheit und das Leben der Thüringer:innen zu schützen, braucht es ein gemeinsames Umsteuern zur Bekämpfung der Pandemie.

Solidarisch handeln, auf Mitmenschen achten,
klar kommunizieren

Die Menschen unseres Landes erwarten in Krisenzeiten verlässliches staatliches Handeln. Insbesondere im Berufsleben und der Betreuung von Kindern und Angehörigen sind derzeit viele Menschen mit besonderen Herausforderungen konfrontiert. Sie brauchen größtmögliche Klarheit und damit Planbarkeit bei den notwendigen Einschränkungen.

Die Eindämmungsmaßnahmen müssen also gut begründet und nachvollziehbar sein und möglichst konsequent gelten. Hierfür ist es entscheidend, dass die vereinbarten Verfahrenswege im Kabinett und bei der Einbindung des Parlaments eingehalten werden. Natürlich muss über den Sinn und die Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen diskutiert werden – auch öffentlich. Dennoch darf die Legitimationskette der politischen

Entscheidungsebenen nicht durch unabgestimmte Äußerungen der dort wirkenden Akteure durchbrochen werden. Dies führt zu weiterer Verunsicherung und Zweifeln an der Professionalität des Krisenmanagements.

Um die Wirksamkeit der Maßnahmen zu erhöhen und die Akzeptanz zu erhalten, ist es jetzt erforderlich, wieder stärker landesweit einheitlich vorzugehen. In den vergangenen Monaten waren in Thüringen sehr unterschiedliche Infektionsgeschehen zu beobachten, die ein unterschiedliches Vorgehen gerechtfertigt haben. In der aktuellen Situation braucht es jedoch klare, landesweite Vorgaben, um die Infektionen einzudämmen. Die unermüdliche Arbeit der Landrät:innen und Bürgermeister:innen darf nicht durch unübersichtliche Verordnungslagen und kaum erklärbare regionale Unterschiede erschwert werden. Wir stehen an der Seite der kommunalen Akteure, die mit ihren Mitarbeiter:innen den Hauptteil zur Pandemiebewältigung beitragen.

Mehr Schutz durch weitere Kontaktvermeidung, bessere Schutzausrüstung und mehr Testungen

Wir müssen noch intensivere Anstrengungen unternehmen, um die Virusübertragung zu verhindern. Der Dreiklang aus Kontaktvermeidung, Schutzausrüstung und Testungen ist hierbei von zentraler Bedeutung. Insbesondere der Schutz von Risikogruppen muss in den kommenden Wochen absoluten Vorrang haben. Dazu gehören folgende Maßahmen:

  • FFP2-Maskenpflicht im öffentlichen Raum, zum Beispiel im ÖPNV, bei gleichzeitiger kostenfreier Abgabe an die Bevölkerung
  • Verpflichtendes Tragen von FFP2-Masken in Unternehmen sowie in Kranken- und Pflegeeinrichtungen, wenn der Mindestabstand nicht garantiert werden kann
  • Risikogruppen konsequent schützen, indem der Zugang zu Kranken- und Pflegeeinrichtungen weiter eingeschränkt bleibt und Kontaktpersonen engmaschig getestet und so früh wie möglich geimpft werden. Tägliche Schnelltestung vonMitarbeiter:innen im Kranken- und Pflegebereich (ambulant und stationär), Dienstantritt erst nach Ergebnis, insbesondere in ambulanter und stationärer Pflege
  • Erhöhung der Testkapazitäten sowohl bei Antigen- als auch bei den PCR-Tests, Sicherstellung der Versorgung mit persönlicher Schutzausrüstung
  • verstärkte Kontrollen der Maßnahmen in Einrichtungen mit besonders hohem Infektionsaufkommen
  • Unterstützung der Einrichtungen durch ehrenamtlich engagierte Katastrophenschützer:innen und freiwillige Helfer:innen bei den Testungen und der Koordination
  • Verpflichtung zur Nutzung/Umsetzung aller bestehenden Homeoffice-Möglichkeiten und Einhaltung von Hygieneregeln durch Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen
  • Verringerung der Ansteckungsgefahren im ÖPNV durch zusätzliche Transportkapazitäten
  • Empfehlung an die Landkreise zur Festlegung gesonderter Einkaufszeiten (2x am Tag) für Personen in Risikogruppen und jeweils eine Begleitperson im Lebensmittelhandel.

Schutz der Bevölkerung durch Impf-Turbo

Die Thüringer Impfstrategie erweist sich im Ländervergleich als nicht effektiv genug. Die vorgenommene Priorisierung auf Personal im Pflege- und Gesundheitsbereich scheint nicht zu tragen, da vergleichbare Flächenländer mit anderen Strategien bereits mehr Menschen in diesen Bereichen geimpft haben.

Die Impfung rettet Leben. Sie ist der Schlüssel zur Rückkehr ins soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leben. Thüringen darf beim Impfen nicht den Anschluss verlieren. Unbedingtes

Ziel muss es sein, bis zum Sommer eine Impfquote von 60% der Bevölkerung (Herdenimunität) zu erreichen. Dazu müssen schnellstmöglich alle technischen und organisatorischen Vorkehrungen getroffen werden, um mit der absehbaren Steigerung der Impfstoffversorgung die Impfgeschwindigkeit massiv zu erhöhen. Dazu sind aus unserer Sicht folgende Maßnahmen erforderlich:

  • Anpassung der Impfstrategie von TMASGFF + KVT; Koordination in einer Stabsstruktur der Landesregierung und Clusterung der Aufgaben, Aufbau eines zentralen Monitorings zur landesweiten Koordinierung und Steuerung der
  • Ressourcen (Impfstoff und Personal), stärkere Einbindung der Landkreise, um lokale Impfzentren besser zu steuern
  • Einrichtung größerer, barrierefreier Impfzentren unter Zuhilfenahme von Personal von Bundeswehr, THW, Feuerwehren und Rettungsorganisationen
  • Impfungen auch an Wochenenden und Organisation der Impfteams im Schichtdienst, um Öffnungszeiten von 6 Uhr bis 24 Uhr zu gewährleisten
  • Impfungen zu Beginn auf Personen fokussieren, die gefährdete Personen anstecken können, Priorisierung von Ärzt:innen, Pflegekräften, Mitarbeiter:innen und Auszubildenden der Gesundheits- und Krankenpflege und der Rettungsdienste sowie Polizist:innen
  • Impfungen dort konzentrieren, wo die Inzidenz hoch ist oder gerade stark steigt
  • Erweiterung der Information und Aufklärung zum Wirkstoff, dem Impfprozess und der Immunisierung
  • Sicherstellung von kostenfreien Transportmöglichkeiten von mobilitätseingeschränkten Personen zu den Impfzentren
  • Nutzung von 6 Impfdosen pro Impfstoffglas, wie vom Bundesgesundheitsministerium empfohlen, um mehr Impfungen pro Impfstofflieferung verabreichen zu können
  • Klares Abstecken der Impf-Ziele (Zeit & Impfquote) mit einer regelmäßigen Überprüfung der Zielvorgaben und Information der Bevölkerung
  • Zuverlässige und zügige Erfassung und Meldung des Standes der Impfungen, Erhöhung der Impfbereitschaft und des Vertrauens in das Gesundheitssystem
  • Gezielte Information und praktische Hilfe für Ältere im Anmeldeverfahren durch kommunale Stellen

Schutz der Familien durch Familiengipfel

Wir sehen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur wenig Chancen, bereits im Februar zu

Präsenzuntericht bzw. -betreuung in den Schulen und Kindergärten zurückzukehren. Die

Belastungen von Familien durch die Schließung von Kindergärten, Schulen und

Freizeiteinrichtungen werden also voraussichtlich andauern. Dies stellt die meisten Eltern, insbesondere Alleinerziehende, vor große Herausforderungen, für die Homeoffice lediglich ein Beitrag zur Lösung sein kann, nicht aber alleinige Lösung ist. Außerdem ist der Zugang von Familien in wirtschaftlich schwachem Umfeld zu Betreuung und Bildung stark gefährdet. Wir wollen die Familien in der Krise unterstützen und einen Weg finden, um Versäumtes aufzuholen:

  • Einberufung eines Familiengipfels durch die Landesregierung von Sozial- und Bildungsministerium unter Einbeziehung der Wohlfahrts- und Jugendverbände,
  • Familien- und Seniorenverbände, Wissenschaftler:innen und Elternvertreter:innen
  • Erstellung eines klaren Stufenplans für Kindergarten und Schule zur langfristigen Planbarkeit für Eltern
  • Erstellung eines Plans für den Wiedereinstieg ins soziale Leben für Kinder und Jugendliche
  • Schnellstmögliche Umsetzung der Familienkarte, um Familien- und Freizeiteinrichtungsbetreiber:innen ab dem Zeitpunkt der Wiederöffnung zu unterstützen
  • Priorisierung von Erzieher:innen und Lehrer:innen beim Impfen

Das Positionspapier gibt es hier zum Download.