Die Herausforderungen der Digitalisierung

Viele empfinden Digitalisierung als Tsunami, der über uns hereinbricht und die Welt völlig verändert zurücklässt. Gerade auch die Arbeitswelt wird in der Tat durch die Digitalisierung grundlegend verändert. Das ist bereits deutlich erkennbar. 

Sie wandelt sich nicht von selbst – sie wird zielgerichtet gestaltet von den Treibern der Digitalisierung. Das sind globale Unternehmensgiganten wie Google, Apple, Facebook und Amazon, nach den Anfangsbuchstaben als GAFA bezeichnet. Jeder dieser Giganten ist für sich mehr wert als alle anderen Unternehmen weltweit, und sie setzen ihr Kapital zielgerichtet ein, um alle Möglichkeiten der Digitalisierung so intensiv wie nur denkbar in ihrem Interesse nutzen. Starke Treiber sind aber auch Staaten wie China, verschiedenste Geheimdienste und Militärkomplexe. 

Zurzeit bestimmen diese Treiber allzu stark die Regeln und Rahmenbedingungen der Digitalisierung. Dass sie diktieren, wie die künftige digitalisierte Welt gestaltet wird, kann aber keinesfalls hingenommen werden. 

Das zu verändern und die Gestaltung dieser technologischen Entwicklung selbst in die Hand zu nehmen ist die wichtigste Herausforderung. Demokratische Entscheidungsprozesse entsprechend gesellschaftlicher Interessen müssen die Gestaltung der künftigen digitalen Welt bestimmen, der Mensch muss in den Mittelpunkt gestellt werden. 

Die Arbeitsbedingung in der künftigen digitalisierten Arbeitswelt müssen nach den Interessen derer gestaltet werden, die als abhängig Beschäftigte in Produktion und Dienstleistungsbereichen die Arbeit leisten. Das kann doch gar nicht anders sein, setzt sich aber nicht von selbst durch. 

Das ist nur erreichbar durch wirkungsvolles gesellschaftliches Engagement.

Ganz deutlich zeichnen sich in dem Teil der Arbeitswelt, die in der technologischen Entwicklung weit vorangeschritten ist, ganz entscheidende Baustellen ab, auf denen dringend gearbeitet werden muss: 

  • Löhne, die zu niedrig sind. Damit ist durch die Erwerbsarbeit kaum die Existenz, aber schon gar keine ausreichende Altersversorgung zu sichern.
  • Prekäre Arbeitsverhältnisse.Befristungen und Zwangsteilzeit schaffen unerträgliche, demotivierende Unsicherheit und berauben die Menschen verlässlicher Perspektiven ihres Erwerbslebens. 
  • Umfassende Überwachung und Kontrolle demotivieren und lösen lähmende Angst aus.
  • Engste Steuerung der Arbeitsprozesse durch Computer und Algorithmen/ künstliche Intelligenz degradieren Menschen zu ausführenden Organen ohne Handlungsspielräume. Daraus erwachsen Demotivation und schwere psychische Belastungen. 
  • Mitbestimmungsrechte werden von Arbeitgebern durch Verhinderung von Betriebsratswahlen und Behinderung von Betriebsratsarbeit unterlaufen. Damit unterbinden sie die die Wahrnehmung demokratischer Rechte. 
  • Hoher Leistungsdruck und Ausweitung von Arbeitszeiten, weil angeblich die Digitalisierung hochgradige Flexibilität erfordert, produzieren Arbeitsbedingungen, die stark belasten und krank machen.
  • All das muss unbedingt grundlegend verändert werden. Die ArbeitnehmerInnen dürfen keinesfalls zu den großen Verlierern der Digitalisierung gemacht werden. Vielmehr gilt es, gerade auch in der digitalisierten Arbeitswelt „Gute Arbeit“ durchzusetzen! Und eben dazu auch die Möglichkeiten der digitalen Technologie zu nutzen.

Das aber wird nicht durch Wünschen und Hoffen erreicht werden. Alte Erfahrung der Arbeiterbewegung ist: die ArbeitnehmerInnen selbst haben es in der Hand, ihre Interessen zu befördern und durchzusetzen. Nur wenn sie sich den Herausforderungen stellen, sich massiv für diesen Gestaltungsanspruch engagieren, dann können sie auch erfolgreich sein. 

Los geht es immer im Betrieb/ in der Dienststelle. Lassen sie sich alles gefallen, alles mit sich machen, schimpfen sie nur privat oder werden krank, lassen sie sich gegeneinander ausspielen – oder gehen sie selbst zum Angriff gegen Niedriglohn und belastende Arbeitsbedingungen über. 

Wenn sie

  • sich organisieren, 
  • sich intensiv mit den Grundlagen und Zusammenhängen der Digitalisierung beschäftigen,
  • sich Sachverstand einholen, 
  • sich mit den Widersprüchen zwischen GAFA-produzierten Entwicklungstrends und eigenen Interessen auseinandersetzen, 
  • sich über Ziele und Strategien verständigen,
  • sich über die Unternehmens- und Branchengrenzen, aber auch die nationalen Grenzen hinweg verbünden: 

dann können sie entscheidenden Einfluss auf Arbeitgeber und Politik gewinnen und ihre Ziele erreichen. 

Das sind die großen Herausforderungen, vor die uns die technologische Entwicklung stellt. Sie ist kein Tsunami, der erlitten werden muss. Die Digitalisierung ist menschengemacht, wird von Menschen gestaltet. 

Diese Menschen sind entweder Jeff Bezos, Marc Zuckerberg usw.  – oder arbeitende Menschen in Betrieben und Dienststellen. Beides ist möglich und hängt letztlich von uns ab. Niemand wird unsere Interessen besser wahrnehmen als wir selbst. Und wir können das, wenn wir den Hintern hochheben.

Alte Wahrheit. Der Tag der Arbeit ist damit aktuell wie eh und je. Nur durch engagierten Kampf für ihre Interessen haben seit der ersten industriellen Revolution die ArbeiterInnen und Arbeiter ganz viel erkämpft. Das auch in der digitalen Revolution fortzuführen ist die entscheidende Herausforderung für die ArbeitnehmerInnen heute.

Thomas Voß